Die Geschichte Muranos und des Murano-Glases
Frühe Geschichte der Insel Murano: |
Murano wurde, wie viele der Inseln in der nördlichen Lagune, von Römern gegründet die, Ende des 5. Jahrhunderts, vor dem Fall des römischen Imperiums und den Invasionen der Barbaren flohen. Obwohl es historischen Fakten zufolge belegt ist, dass es bereits seit dem 6. Jahrhundert Glasproduktionen in der Lagune gab, waren die frühen ökonomischen Aktivitäten der Insel Murano auf die Bereiche des Fischens und des Salzhandels konzentriert. Während der ersten Jahre der Republik Venedigs, umfasste das Territorium namens „Murano“ auch die Inseln Sankt Erasmus, Vigole und San Michele. Das Territorium von Murano hatte seinen eigenen Großrat, der dem „Rat der Zehn“ Venedigs ähnelte, und prägte sogar seine eigene Münze. Erst ab dem Jahre 1200 n. Chr. wurde Murano von einer „podestà“ (Richter) Venedigs regiert.
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Venezianisches Glas vor Murano:
Die Glasverarbeitung ist die antikste und wichtigste Kunst, die in der Lagune praktiziert wurde und war Jahrhunderte lang eine der wichtigsten kommerziellen Industrien der Republik Venedigs. Die ersten Aufzeichnungen, die von einem Glasmeister in Venedig berichten, dem Flaschenhersteller Dominicus Phiolarius, stammen aus dem Jahre 982 n. Chr. Desto trotz deuten archäologische Studien darauf hin, dass die Glasproduktion bereits vor der Gründung der Republik Venedigs auf der Insel Torcello existierte. Venedig war, weit bevor alle Brennöfen im Jahre 1291 von der Stadt auf die Insel Murano verlegt wurden, für die Glasproduktion bekannt und kommerziell erfolgreich, insbesondere für Spiegel und Flaschen. Obgleich schon einige Brennöfen auf Murano existierten, konzentrierte sich die wachsende Glasproduktion damals auf die Gegenden Riva Alto und Dorsoduro im Zentrum Venedigs.
Wer waren die Glasmeister? Warum blühte ihre Kunst in Venedig auf?
Venedig und die Inseln der Lagune wurden, seit deren geschichtlichen Wurzeln, von Personen besiedelt, die den Konflikten der Region geflohen waren. Unter den ersten Siedlern befanden sich ehemalige Bürger des römischen Imperiums. Die römische Gesellschaft produzierte und benutzte Glasgegenstände in ihren Haushalten, zu religiösen und dekorativen Zwecken seit dem 1. Jahrhundert n. Chr. Später brachten Einwanderer aus dem Osten, vor allem diejenigen, die vor der Belagerung Konstantinopels geflohen waren, weitreichende Kenntnisse bezüglich der östlichen Glaskunst und –Produktionsprozesse mit. So wurden Venedig und Murano, über mehrere Jahrhunderte hinweg und unter dem Schutz der Republik, ein tatsächlicher „melting pot“ internationaler Techniken der Glasverarbeitung und vor allem das weltweite Zentrum für Fortschritte sei es in der Glasproduktion als auch in der Gestaltung von Glasobjekten.
Die Republik Venedigs und die Glasindustrie:
Die Regierung der Republik erkannte die potenzielle Wichtigkeit der blühenden Glasindustrie an und setze sich ein, um diese weiter zu entwickeln. Zwischen dem 11. Und dem 12. Jahrhundert, handelte die wachsende Republik Freihandelsabkommen aus und etablierte beschützte Handels Kolonien im gesamten Mittelmeerraum, Heiligen Land und Orient. Der Handel von Glasprodukten war lebhaft und flott. Im Jahre 1271, agierte der Rat um die Glasindustrie im Inland zu schützen, indem sie den Import ausländischer Glasprodukte nach Venedig verbot und ausländischen Glasmeistern das Arbeiten in Venedig untersagte. Erst 20 Jahre später, wurde angeordnet, alle Brennöfen nach Murano zu verlegen. Es wird oft behauptet, dass diese Entscheidung getroffen wurde, um das Brandrisiko innerhalb des Stadtzentrums zu vermeiden. Trotzdem ist auch zu berücksichtigen, dass es viel einfacher ist, Handelsgeheimnisse zu wahren, wenn sie sich auf einer Insel in einer Lagune befinden.
Die Insel Murano: Das erste Industriegebiet der WeltDie Verlegung aller Brennöfen auf die Insel Murano im Jahre 1291 erschuf, 500 Jahre vor der industriellen Revolution in Europa, das erste Industriegebiet der Welt. Und, obwohl Murano-Glas heutzutage ein Luxusprodukt ist, hatte Murano jahrhundertelang das Monopol der kommerziellen Glasproduktion in ganz Europa.
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Die Murano-Glasfabriken produzierten sowohl kommerzielles als auch luxuriöses Glas Seite an Seite. Die kommerzielle Produktion, einschließlich Perlen und Flaschen, war genauso wichtig für die venezianische Wirtschaft und im Generellen für die Entwicklung des internationalen Handels, wie die Luxusproduktion.
Privilegien und Einschränkungen der Murano-Glasmeister:
Die erzwungene Verlegung der Brennöfen und somit auch der Glasmeister und deren Familien nach Murano wurde von eine Reihe von Anreizen jedoch auch Einschränkungen seitens der Republik begleitet. Glasmeister erreichten einen hohen sozialen Status, der weit über dem der anderen Handwerker lag. Die Töchter der Glasmeister durften sich mit dem venezianischen Adel verheiraten. Glasmeister durften Schwerter mit sich tragen, außerdem waren sie immun gegen Verfolgungen. Alles gute Anreize nicht nur um sie nach Murano zu verlegen, sondern auch um sie dazu zu bringen, ihre Kinder zu ermutigen in der Glasproduktion zu arbeiten. Dies mag auch dazu führen, die Geheimnisse der Glasherstellung noch besser zu hüten, da sie nicht nur auf der Insel, sondern auch innerhalb der Familien blieben. Trotzdem war die Republik so bedacht darauf, die Geheimnisse noch strikter zu verwahren, dass die Glasmeister Venedig nicht mehr ohne explizite Erlaubnis verlassen durften. Glasmeister die Venedig ohne Erlaubnis verließen und später zurückkehrten, konnten von der Handwerkszunft ausgeschlossen werden und das Verbot mit Glas zu arbeiten erhalten. Die Verbreitung der Geheimnisse der Murano-Glasproduktion im Ausland wurde sogar mit der Todesstrafe geahndet.
Murano-Glas während der Renaissance und des Zeitalters der Entdeckungen:
Fantastisches Murano-Glas!Einer der Effekte der Konzentration der Gleismeister auf Murano, in unmittelbarer Nähe zueinander, war ein Austausch von Ideen und Fähigkeiten der in kurzer Zeit zu einer raschen Ausbreitung der Glasproduktion in Venedig und enormen Innovationen in der Glasarbeit selbst führte. Die Murano-Glasmeister machten wichtige wissenschaftliche Entdeckungen bezüglich der Glasproduktion. Meister Angelo Barovier entdeckte im 15. Jahrhundert den Prozess um „Cristallo Veneziano“ herzustellen, das weltweit erste wirklich durchsichtige Glas.
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Wertvolles Lattimo-Glas wurde von dem Glasmeister Antonio de Pisa erschaffen. Währenddessen machten die Murano-Glasmeister kontinuierlich künstlerische Fortschritte beim Skulpturieren und in der Dekoration des Glases. Zum Beispiel designte Meister Joseph Briati Ende des 17. Jahrhunderts den nun typischen venezianischen Blumenkronleuchter, der bis heute weltweit sehr kostbar ist. Auf diese Weise wurden und blieben die Murano-Glasmeister Jahrhunderte lang die wichtigsten Hersteller von Luxusglasobjekten Europas.
Murano-Glasperlen & der internationale Handel während des Zeitalters der Entdeckungen:Trotz ihrer kleinen Dimensionen nicht zu vergessen oder zu übersehen, sind die Murano-Glasperlen nicht nur ein essenzieller Bestandteil des kommerziellen Erfolgs Muranos sondern haben auch eine Schlüsselrolle in der Entwicklung und Geschichte des internationalen Handels gespielt.
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Während des Zeitalters der Entdeckungen – zwischen Anfang des 15. und Ende des 18. Jahrhunderts, als die Europäer begannen in Indien, Afrika und Amerika zu handeln, trafen sie auf Personen die geringes Interesse für ihre Währung aber eine hohe Wertschätzung dekorativer Objekte hatten. Murano-Glasperlen wurden von Handelsseemännern in Auftrag gegeben, um sie als Tauschobjekt für Gewürze, Elfenbein, Palmöl oder sogar Sklaven zu benutzen. Man sagt, dass sogar Christopher Columbus als Gastgeschenk für die Einwohner von San Salvador Murano-Glasperlen mitbrachte, als er zum ersten Mal in „der neuen Welt“ ankam. Die Murano-Glasfabriken stellten pro Jahr bis zu einer Million dieser Glasperlen her. Diese Perlen waren auch als „Handelsperlen“ und später unter dem unheilvollen Namen „Sklavenperlen“ bekannt.
Murano-Glas Rocailles Perlen:Im Gegensatz zu den Handelsperlen, die indiskutabel ein Produkt Muranos sind auch wenn sie selten als solches anerkannt werden, waren kleine Murano-Glas Rocailles Perlen sei es Mittel des internationalen Handels als auch Wohlstandssymbol innerhalb Europas. Rocailles Perlen, fast so klein wie ein Stecknadelkopf, wurden für Stickereien, Webereien und Schmuckherstellung benutzt. Die Perlen selbst wurden in billionenfacher Ausführung in den Murano Conterie Fabriken durch den einzigartigen Prozess des Langziehens von geschmolzenem Glas hergestellt, der auf Murano erfunden wurde.
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Das Glas zu „ziehen“ ermöglichte es den Meistern winzige Luftblasen auf der ganzen Länge des Glases einzuschließen, die das Loch für die Perle kreierten. Auf diese Weise konnten sie tausende von Perlen mit nur einem Glasrohr herstellen, ohne den alten Prozess zu benutzten, bei dem die Perlen einzeln hergestellt werden mussten. Murano behielt das Monopol für die Produktion der Rocailles Perlen vom 15. bis zum 18. Jahrhundert. Außerdem blieb die Glasperlenproduktion bis zum 20. Jahrhundert kommerziell extrem wichtig für Murano.
Cristallo Veneziano: Murano-Glas klar wie KristallDie Murano-Glasmeister waren nicht nur Künstler und Produzenten der Glasobjekte sondern auch Pioniere der Wissenschaft der Glasproduktion selbst. Die vielleicht wichtigste Entwicklung in der Murano-Glasherstellung war die Entdeckung Mitte des 15. Jahrhunderts des Glasmeisters Angelo Barovier der Formel für die Herstellung des weltweit ersten wirklich durchsichtigen Glases, dem venezianischen Kristall. Die Einflüsse dieser Entdeckung können gar nicht überschätzt werden.
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Nicht nur gab es eine dringende Nachfrage von Glaswaren wie Trinkgläsern, Schüsseln und Vasen aus venezianischem Kristall, sondern hat der Kristall auch den Weg für weitere Fortschritte in der Glaskunst gebahnt indem er, zum Beispiel, den Glasmeistern die Möglichkeit gab die weltweit ersten vollkommen reflektierenden Glasspiegel herzustellen.
Murano-Glas Kronleuchter:Obwohl es wahr ist, dass einige der Geheimnisse der Murano-Glasverarbeitung langsam in andere Länder durchsickerten, kam die erste wahre Konkurrenzkrise für die Murano-Glasmeister vom böhmischen kaltgearbeiteten Kristall gegen Ende des 17., Anfang des 18. Jahrhunderts. Der böhmische Stil das Glas zu schneiden oder den Facettenschliff zu benutzen wurde innerhalb des europäischen Adels recht berühmt. Trotzdem, da das böhmische Glas für Schnitte und das Murano-Glas für das Skulpturieren geeignet war, gab es Raum für einen Wettbewerb bezüglich des Designs.
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Die Murano-Glasmeister reagierten mit einem Design, das sowohl Murano als auch Luxusglas für Jahrhunderte auszeichnen würde. Der Verdienst für die Erfindung der „ciocce“, dem ikonischen Murano-Glasblumen Kronleuchter, und der „rezzonico“ Kronleuchter, die aus hunderten manchmal sogar tausenden von einzelnen handgemachten Stücken bestehen, wird dem Murano-Glasmeister Giuseppe Briati angerechnet.
Murano-Glas nach dem Fall der Republik:
Nachdem die Republik Venedigs 1797 unter Napoleon gefallen war, erlebten Venedig und Murano eine drastische kulturelle und kommerzielle Verschlechterung. Unsere eigene Ex-Kirche Santa Chiara wurde von Napoleon entweiht; die Nonnen verteilten sich auf andere religiöse Institutionen. Die eigentliche Krise jedoch kam mit dem Fall des napoleonischen Königreichs und der Verhängung der Habsburger Regeln über Venedig. Die Habsburger bevorzugten den böhmischen Kristall gegenüber dem Murano-Glas sehr und beschränkten und versteuerten den Import nach Venedig der Rohmateriale, die für die Glasproduktion benötigt wurden während ihrer zwanzigjährigen Herrschaft über Venedig – von 1815 bis 1835 – drastisch.
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Knapp die Hälfte der Fabriken auf Murano schlossen während der zwanzigjährigen Herrschaft der Habsburger und diejenigen die blieben produzierten ausschließlich kommerzielle Produkte wie Handelsperlen oder Glasflaschen. Diese Produktion, vor allem als das Zeitalter der Entdeckungen sich dem Ende zuneigte und zu der Zeit viele andere Zentren der kommerziellen Glasproduktion in Europa existierten, war sicherlich auf lange Sicht nicht ausreichend um Murano am Leben zu erhalten oder die Kreativität der Glasmeister zu befriedigen.
Wiederaufleben: Murano-Glaskunst & Design zu Beginn des 20. JahrhundertsIronischerweise war es die Luxusproduktion des Murano-Glases die wiederauflebte, überlebte und blühte während die kommerzielle Produktion zwischen Mitte des 19. und Mitte des 20. Jahrhunderts vollkommen verschwand. In den 1850ern öffneten angeblich zwei neue Firmen, Fratelli Toso und Salviatti um an der kommerziellen Glasproduktion teilzunehmen, aber innerhalb eines Jahrhunderts hatten beide zu Techniken der Luxusglasproduktion gewechselt. Sie erlangten im Ausland wirtschaftliche Erfolge innerhalb Europas und einige weitere Brennöfen wurden eröffnet, unter anderem auch Fratelli Barovier.
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Nicht lange danach beherbergte Venedig seine erste internationale Kunst Biennale und man kann fairerweise behaupten, dass sei es Glasmeister als auch Designer vom Potenzial des Murano-Glases für die Kreierung moderner Objekte inspiriert wurden. Im Jahre 1921 wurde Venini eröffnet, der erste Brennofen auf Murano der sich nur auf die Produktion moderner Murano-Glasobjekte konzentrierte. Danach wechselten viele bereits existierende und neue Brennöfen von einer sogenannten artisanalen Praktik der Murano-Glasproduktion zur Produktion von „Design“-Glas, also Glasarbeiten die als Resultat der Zusammenarbeit von Glasmeistern und Avantgarde-Designern entstand und für die Murano im Laufe des 20. Jahrhunderts berühmt war.
Zeitgenössisches Murano-Glas:Heutzutage sind Arbeiten aus Murano-Glas, ob kleine geblasene Schmuckgegenstände oder große raffinierte Kronleuchter, weltweit begehrte Luxusprodukte. Die Glasmeister Muranos produzieren weiterhin unzählige Arten von Glasobjekten von den klassischen Stilen, die von ihren Urvätern während der Renaissance designt wurden, über die klaren Linien der Design-Ära, bis hin zu den mutigen zeitgenössischen Skulpturen die mit Lampwork von Künstlern wie Igor Balbi und Massimiliano Claderone hergestellt werden. Die kommerzielle Herstellung von Nutzprodukten, wie z. B. Flaschen, die einfach und günstig anderswo massenproduziert werden können, wird auf Murano nicht mehr ausgeübt. Stattdessen ist Murano heute ein wortwörtlicher Schmelztiegel in dem Können und Techniken, die von den Meistern vor fast 900 Jahren erfunden wurden, mit den zeitgenössischen künstlerischen Visionen und natürlich dem immer wandelnden allgemeinen Geschmack verbunden werden um immer neue und schönere Murano-Glasdesigns zu erschaffen.
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In heutigen Zeiten müssen die Murano-Glasmeister und das Murano-Glas mit den kommerziellen Bedrohungen der Massenproduktion kämpfen, die dazu gemacht ist um einige der berühmtesten Formen und Stile, die in der Vergangenheit von den Murano-Glasmeistern erfunden wurden, zu imitieren. Da diese Stücke günstig produziert werden, können sie natürlich auch günstiger verkauft werden als authentisches Murano-Glas. Trotzdem bieten die Murano-Glasmeister dieser Herausforderung die Stirn, wie sie es auch beim Wettstreit mit dem böhmischen Kristall während der Renaissance und wieder unter der Unterdrückung der Habsburger gemacht haben, indem sie originellere, einzigartigere und schönere Werke aus originalem Murano-Glas herstellen.